Menu
 

Campus Platztor, 01.02.2021

„Universitätsplanung ist Stadtplanung“ schrieb der Soziologe Lucius Burkhardt 1970 in der Zeitschrift Werk, in der unter anderem die Erweiterung des Rosenberg-Campus der Universität St. Gallen besprochen wurde. Fünfzig Jahre und einige Erweiterungsbauten später, unternimmt die HSG nun den historischen Schritt und kehrt mit einem neuen Gebäude vom Campus Rosenberg in die Stadt St. Gallen zurück. Dabei besitzt der neue Campus Platztor das Potential und die Verantwortung, der Stadt bedeutsame Impulse zu geben. Wir verstehen diese "Impulse" im Sinne eines Dialogs mit der Öffentlichkeit, den unser Projekt auf drei Arten sucht.
Die erste Art ist ein kultureller und historischer Dialog, dabei geht es um die Ausstrahlung des Campus Platztor. Gegründet in der Hochblüte der St. Galler Stickereiindustrie – einst die wichtigste Exportindustrie der Schweiz – und mit rund 200 Partnerschulen sowie Studierenden aus über 80 Nationen, ist die HSG international bestens vernetzt und damit gleichzeitig eine Art Botschafterin der Stadt St. Gallen und der Schweiz. Die Botschaft, welche die Ausstrahlung unseres Projekts vermittelt, ist textiler Natur. Inspiriert von den St. Galler Stickereifabrikaten, zieht sich die Idee einer textilhaften Anmutung durch das ganze Gebäude hindurch. Einerseits im wörtlichen und funktionalen Sinne, wenn textile Materialien als Projektionsfläche oder als Sicht-, Sonnen- oder Lärmschutz verwendet werden. Andererseits im übertragenen und formalen Sinne, wenn die Gurtgesimse wie Vorhänge geschwungen werden; wenn Öffnungen, tragende Stützen und die Lamellen des brise soleil entlang der Kolonnade bei genauerer Betrachtung die Form der Lemniskate besitzen – eine floral anmutende und geometrisch präzise Form, die immer wieder auf Textilien verschiedenster, teilweise jahrtausendealter Kulturen auftaucht. Die Ausstrahlung des neuen Campus Platztor ist also in doppelter Hinsicht identitätsstiftend: Sie erinnert lokale Bürger an ihre eigene Vergangenheit, und erzählt Auslandstudenten, internationalen Gästen wie Touristen etwas über die Tradition der Schweiz, der Stadt St. Gallen und die Ambition der HSG – und im besten Fall weckt die textile und ornamentale Anmutung sogar Assoziationen an die eigene Herkunft, Kultur und Erfahrung dieser Menschen.
Beim zweiten Dialog geht es um den Stadtraum. Mit ihrer kompakten Form und der Positionierung an der östlichen Ecke der Parzelle, bildet unser Projekt zwei differenzierte Freiräume gegen Süden und Westen: einen urbanen Platz an der Strasse "Unterer Graben" und einen ruhigen Garten gegen den Hang an der "Böcklinstrasse". Eine innere, kreuzförmige Erschliessungsfigur verbindet diese Freiräume und führt die Menschen auf natürliche Weise entlang öffentliche Räume wie dem Stadtsaal, der grossen Aula oder dem Campus–Café an der Kolonnade parallel zur St. Jakob-Strasse, aber auch ins Piano Nobile zu den Labs und der hölzernen Markthalle.
Den dritten Dialog führt unser Projekt mit den hauseigenen Bauten der HSG. Wie beim Hauptbau von Förderer/Zwimpfer/Otto (1963) und dem Learning-Center von Sou Fujimoto (2021) ordnet ein geometrisches System aus Quadraten den Campus Platztor. Die zwei bestehenden Bauten besitzen zudem unterschiedliche Aussenräume wie eine grosse Plattform oder kleinere Terrassen. Der Campus Platztor erweitert das Repertoire und bietet den Studierenden, Forschenden und der Öffentlichkeit einen neuen, vielfältigen und von weitem sichtbaren Dachgarten.
Wir betrachten die lokale Verwurzelung als grundlegende Bedingung für eine "zukunftsweisende" Universität mit "internationaler Ausstrahlung". Deshalb ist unser Projekt auf allen Ebenen der Öffentlichkeit und der Stadt St. Gallen verpflichtet, mit der es einen vielschichtigen Dialog sucht. Damit wird nun auch für die HSG die "Universitätsplanung" definitiv zu einer "Stadtplanung", in der sie wesentliche Impulse setzen kann.